Finanztransaktionssteuer in Deutschland & EU

Finanztransaktionssteuer in 84 Sekunden erklärt
Finanztransaktionssteuer in 84 Sekunden erklärt

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Seit der weltweiten Finanzkrise ab 2007 diskutiert man in der EU und insbesondere in Deutschland über eine Einführung der Finanztransaktionssteuer. Sinn und Zweck sowie Ausgestaltung dieser Steuer sind ebenso umstritten wie deren Einführung in Deutschland sowie weiteren Ländern der EU.
Aktueller Stand, zeitliche Entwicklung sowie Argumente für und gegen die Finanztransaktionssteuer inkl. Quellen und weiterführenden Verweisen finden Sie auf dieser Webseite.

  1. Definition, Erklärung der Finanztransaktionssteuer
  2. Finanztransaktionssteuer in Deutschland & EU ab 2021
  3. Sinn und Zweck der Finanztransaktionssteuer
  4. Entwicklung der Finanztransaktionssteuer in der EU (Kurzform)
  5. Geschichte der Finanztransaktionssteuer
  6. Pro: Argumente für eine Finanztransaktionssteuer
  7. Contra: Argumente gegen eine Finanztransaktionssteuer
  8. Quellen & weiterführende Links
  9. Fußnoten

Definition, Erklärung der Finanztransaktionssteuer

Die Finanztransaktionssteuer (FTS) gehört zu den Kapitalverkehrssteuern und funktioniert wie eine Umsatzsteuer auf börsliche und außerbörsliche Finanztransaktionen, wobei der Staat den Handel mit Finanzprodukten mit einer minimalen Steuer (der Finanztransaktionssteuer) belegt. Im Gespräch sind waren dabei Steuersätze zwischen 0,01 und 0,1 %. Aktuell plant man in Deutschland mit 0,2 – 0,3 % (vgl. Finanztransaktionssteuer für Privatanleger ab 2021 geplant).

Die Finanztransaktionssteuer wird vereinzelt auch als Finanzmarktsteuer, Finanzmarkttransaktionssteuer oder englisch financial transaction tax (FTT) bezeichnet.

Finanztransaktionssteuer in Deutschland & EU ab 2021

Unter Federführung von Olaf Scholz (SPD) strebt man ab 2021 die möglichst europaweite Einführung einer Finanztransaktionssteuer auch in Deutschland an. Hintergrund ist die parallel Anfang 2021 geplante Einführung der Grundrente, zu deren Finanzierung nun die Finanztransaktionssteuer herangezogen werden soll.

Doch diese Ausgestaltung hat mit der urspünglichen Intension nicht mehr viel gemein.
Kritiker bemängeln:

  1. Die geplante Ausgestaltung trifft entgegen der ursprünglichen Intension primär den Kleinsparer und lässt hochspekulative Anlagen wie Derivate und Intraday-Handel außen vor. Von 428 Billionen Euro würden nur 2,2 Billionen Euro erfasst. ((https://www.fondsprofessionell.de/news/recht/headline/boersensteuer-neues-gutachten-beziffert-kosten-194317/; zuletzt abgerufen am 21.01.2020))
    So kommt ein aktuelles Gutachten vom Mai 2020 des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) zum Fazit „Idee gut, geplante Umsetzung unzureichend“. ((https://www.ifw-kiel.de/de/publikationen/aktuelles/finanztransaktionssteuer-idee-gut-geplante-umsetzung-unzureichend/; zuletzt abgerufen am 06.03.2020)) Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) hält daher von dieser Ausgestaltung nichts: »Eine solche begrenzte Finanztransaktionssteuer trifft eher Kleinanleger als Spekulanten. Dadurch wird versäumt, die Hauptverursacher der letzten Finanzkrise heranzuziehen und an den entstandenen Kosten zu beteiligen.« ((https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/gutachten-zu-scholz-boersensteuer-das-droht-kleinanlegern-69205910.bild.html; zuletzt abgerufen am 05.03.2020))
  2. Eine Einführung 2021 in mehreren Ländern ist angesichts der schwierigen Vergangenheit der letzten Jahr unwahrscheinlich. So meint Österreichs Finanzminister Gernot Blümel zum neuen Deutschen Vorschlag: »Statt die professionellen Spekulanten über eine Besteuerung von Hochfrequenzhandel, Derivatgeschäfte und das Intraday-Trading stärker in die Pflicht zu nehmen, wären Kleinanleger und die Realwirtschaft die Leidtragenden. Den aktuellen Vorschlag werden wir nicht unterstützen und notfalls die Arbeitsgruppe zur Einführung einer EU-Finanztransaktionssteuer verlassen.«
  3. Steuern dürfen nach § 3 Absatz 1 der Abgabenordnung nicht zweckgebunden sein.

Der Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken, Hans-Walter Peters, betitelt die geplante Aktiensteuer als »eine Hiobsbotschaft für Sparer«. ((https://www.bild.de/geld/wirtschaft/wirtschaft/aktien-steuer-bankenpraesident-kritisiert-neue-scholz-plaene-66599080.bild.html; zuletzt abgerufen am 11.12.2019)) Prof. Hans-Peter Burghof (Lehrstuhl für Bankwirtschaft und Finanzdienstleistungen an der Universität Hohenheim) spricht von »Aktienerwerbsteuer«. ((https://www.fondsprofessionell.de/news/recht/headline/boersensteuer-neues-gutachten-beziffert-kosten-194317/; zuletzt abgerufen am 21.01.2020))

Sinn und Zweck der Finanztransaktionssteuer

Unter dem Eindruck der weltweiten Finanzkrise ab 2007 wurde in Europa und dort besonders in Deutschland über die Einführung einer Finanztransaktionssteuer diskutiert. So stellte beispielsweise der Präsident der Europäischen Kommission José Manuel Barroso einen Gesetzentwurf der EU-Kommission zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer in der EU vor.

Ziel ist war es den überwigend automatisiertem computergestützten Hochfrequenzhandel (High Frequency Trades) zu verteuern, da dieser unerwünschte selbstverstärkende Effekte vor allem in Krisenphasen zur Folge hat.
Mit einem sehr geringen prozentualen Anteil von anfangs 0,01 bis 0,1 % je Transaktion könne man dies gut steuern ohne den Privatanleger nennenswert zu belasten.

ZDF heute journal - Pro & Contra Finanztransaktionssteuer vom 31.01.2012
ZDF heute journal - Pro & Contra Finanztransaktionssteuer vom 31.01.2012

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Doch verdienen Kapitalmarktplätze mit diesen umfangreichen Transaktionen Geld.
Daher konnten sich die EU-Finanzminister bislang nicht auf eine einheitliche Regelung dazu einigen. Dies scheiterte in der Vergangenheit v.a. am Widerstand einzelner Länder wie z.B. Großbritannien, in denen der Anteil des Finanzsektors am Wirtschaftsvolumen groß und die Furcht vor einem Umsatzrückgang in diesem Sektor deshalb besonders ausgeprägt ist.

Entwicklung der Finanztransaktionssteuer in der EU (Kurzform)

2019
Anfang Februar 2019 hat Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) gemeinsam mit dem französischen Minister Bruno Le Maire den anderen europäischen Finanzministern einen Kompromissvorschlag zur Aktiensteuer gemacht. Die beiden Finanzminister planen eine Finanztransaktionssteuer ab 2021 in zehn EU-Ländern einzuführen. Doch diese Form der Finanztransaktionssteuer wird weniger die institutionellen Spekulanten, sondern vielmehr den ’normalen‘ Aktiensparer treffen.

2018
Die geplante Einführung des Gesetzesentwurfs für 2018 scheiterte erneut. Zehn Mitgliedsstaaten verhandelten weiter.

2017
Nach der Bundestagswahl 2017 haben CDU/CSU und SPD den Abschluss der Finanztransaktionssteuer im Koalitionsvertrag der 19. Wahlperiode des Bundestages festgelegt.

2016
Im Oktober 2016 schien eine Einigung von mindestens 10 EU-Ländern auf eine europäische Finanztransaktionssteuer wahrscheinlich.

2012
Einer gesamteuropäischen Regelung vorgreifend haben einige EU-Länder inzwischen eigene Gesetze zu Börsensteuern oder anderer Steuern auf Finanzgeschäfte beschlossen.
So gilt seit dem 1. August 2012 in Frankreich eine allgemeine Finanztransaktionssteuer auf den Erwerb sogenannter ‚Kapitalwertpapiere‘. Auch in Belgien, Zypern, Irland, Finnland und Griechenland gelten gewisse Formen einer Finanztransaktionssteuer.

Ein Treffen der EU-Finanzminister im Oktober 2012 in Luxemburg ergab laut EurActiv-Meldung, dass nach Frankreich wohl 11 weitere EU-Länder inklusive Deutschland die Finanztransaktionssteuer einführen werden.
Daraus wurde jedoch (wieder) nichts.

Geschichte der Finanztransaktionssteuer

Einführung der Finanztransaktionssteuer in LondonIm Jahre 1694 wurde eine frühe Form der Finanztransaktionssteuer in Form einer Stempelabgabe an der Londoner Börse eingeführt. Die Transaktionssteuer wurde vom Anteilskäufer bezahlt, um den für die offizielle Bestätigung der Transaktion notwendigen Stempel zu erwerben.
Eine ähnliche Abgabe stellte in Deutschland die seit der Verabschiedung des Gesetzes über die Reichsstempelabgabe vom 1. Juli 1881 bis zum Außerkrafttreten am 1. Januar 1992 im Zuge des Finanzmarktförderungsgesetzes vom 22. Februar 1990 die Stempelsteuer des Deutschen Reiches für Wertpapiere oder Urkunden dar.

Die theoretischen Überlegungen zum Thema Finanztransaktionssteuer werden im Allgemeinen mit zwei US-Ökonomen verbunden: John Maynard Keynes und James Tobin.

  • John Maynard Keynes stellte schon 1936, unter dem Eindruck der ‚Great Depression‘, fest, dass sich die Unternehmen nach der Einführung einer Verkehrssteuer auf alle Transaktionen und der damit verbundenen Verminderung der kurzfristigen Spekulation wieder mehr auf eine längerfristige und nachhaltigere Gewinnmaximierung konzentrieren könnten. Der Möglichkeit, dass mit einer solchen Steuer auch ein Rückgang der Liquidität und des Handelsvolumens verbunden sein können, war Keynes sich dabei durchaus bewusst. Dieses Argument wird bis heute von Gegnern einer Finanztransaktionssteuer angeführt.
  • Keynes‘ Schüler, der Amerikaner James Tobin, beschäftigte sich v.a. nach dem Ende des Bretton-Woods-Systems, mit den Auswirkungen von Devisengeschäften auf die realen wirtschaftlichen Kosten der einzelnen Volkswirtschaften. Er sah in einer Finanztransaktionssteuer auf Devisengeschäfte (der sog. Tobin-Steuer) eine wirksame Möglichkeit, diese Auswirkungen möglichst gering zu halten. Tobin hielt dabei eine einheitliche Steuer in Höhe von etwa 0,05 % – 1,0% für realistisch.

Pro: Argumente für eine Finanztransaktionssteuer

Befürworter einer Finanztransaktionsteuer betonen stets deren ausgleichende und stabilisierende Wirkung auf die Finanzen im Bereich der Wirtschaft, speziell die Finanzmärkte. Kurzfristigen Spekulationsgeschäften (sog. ‚High Frequency Trade‘, der automatisierte Hochgeschwindigkeitshandel) würde ein sehr wirkungsvoller Riegel vorgeschoben, da diese Geschäfte meist auf minimalen Gewinnspannen bei maximalen Einsätzen basieren. Selbst mit einer sehr niedrigen Besteuerung fielen bei solchen Geschäften kaum Gewinne mehr ab. Bei langfristigen Investitionen hingegen fiele die Steuerbelastung kaum ins Gewicht.

Immer häufiger, besonders unter dem Eindruck von Welt-, Wirtschafts- und Eurokrise mit ihren Bankenrettungspaketen, spielt auch das Gerechtigkeitsargument eine Rolle: Durch die steuerlichen Abgaben werde der Finanzsektor, der von vielen als Hauptverursacher dieser Krisen gesehen wird, an der finanziellen Bewältigung beteiligt.

Nicht zuletzt würde eine Finanztransaktionssteuer immer auch zu höheren Steuereinnahmen führen. Wie hoch diese Mehreinnahmen durch die Einführung einer Finanztransaktionssteuer ausfallen dürften, ist derzeit aber noch Spekulation. Entsprechend groß ist auch die Bandbreite der Schätzungen.

Art Einnahmen (in Mrd. €)
Aktien/ Anteilsscheine 7.237,2
Anleihen 13.432,7
Börsengehandelte Derivate 468.171,1
Over-the-Counter Derivate 312.926,4
Währungsgeschäfte am Spotmarkt 162.186,4
Währungsswaps 225.170,7
Währungsforwards 53.532,6

Angaben ohne Gewähr, Daten: EU Kommission 2011, COMMISSION STAFF WORKING PAPER IMPACT ASSESSMENT, accompanying the document Proposal for a Council Directive on a common system of financial transaction tax and amending Directive 2008/7/EC, Bd. 12.

Contra: Argumente gegen eine Finanztransaktionssteuer

Kritiker sehen in einer Finanztransaktionsteuer die Gefahr, dass die Steuer nicht nur Spekulanten im Bereich des Hochgeschwindigkeitshandels (High Frequency Trades) treffen würde. So würden sich auch nicht-spekulative Geschäfte verteuern und Finanzunternehmen die gestiegenen Kosten an ihre Kunden weitergeben. Außerdem bestünde die Gefahr einer Abwanderung von Finanzunternehmen in Länder, in denen sie keine Finanztransaktionssteuer zahlen müssten.

Um dies zu vermeiden, wäre eine weltweit verbindliche Steuer notwendig, was in vielen Ländern auf Widerstand stößt. So sprechen sich u.a. die USA und Großbritannien entschieden gegen eine Finanztransaktionssteuer auf internationaler Ebene aus. Sie sehen durch die Abgabe ihre Finanzstandorte und Börsenplätze gefährdet.

Fußnoten

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